Ansprache: Hier stehe ich ...
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Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.
Was für ein Satz! Was für eine Kraft, für eine Unbeugsamkeit! Da steht dieser kleine Mönch aus dem unbedeutenden Wittenberg vor dem Reichstag in Worms, vor den versammelten Fürsten und Bischöfen, und wird verhört. Und eigentlich ist ihm klar: Entweder, er widerruft alles, was er bisher geschrieben und gesagt hat, oder aber es geht ihm an den Kragen. Womöglich muss er sogar mit dem Leben dafür bezahlen.
Wahrscheinlich hat Luther diesen Satz nie gesagt, aber er fasst einfach so hervorragend zusammen, was Luther gemeint hat, dass es zu einem seiner bekanntesten Ausrufe geworden ist.
Wirklich gesagt hat er etwas anderes. Ein bisschen komplizierter:
Da mein Gewissen in den Worten Gottes gefangen ist, kann ich und will nichts widerrufen, weil es gefährlich und unmöglich ist, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen.
Dabei ist dieser Satz vielleicht sogar noch revolutionärer als der andere. Denn da kommt etwas ganz Neues ins Spiel: Das eigene Gewissen! Immer hatten die Leute gesagt bekommen: Dieses ist richtig, jenes ist falsch. Egal, ob Staat, Kirche oder welche Institution auch immer: Wenn „die da oben“ es sagten, dann wurde das so gemacht.
Und nun auf einmal – kommt das Gewissen in die Welt. Jede und jeder ist auf einmal selbst verantwortlich für das eigene Tun und Lassen. Jede und jeder muss sich selbst auf die Suche machen danach, was eine gute Grundlage ist fürs eigene Leben. Knapp 500 Jahre ist dieser Ausspruch her – und er hat Europa und die Welt geprägt. Vielleicht wären auch andere auf die Idee mit dem Gewissen gekommen. Vielleicht sind sie es auch. Aber ziemlich sicher hat Luther alles viel komplizierter gemacht für uns. Selber denken, heißt die Devise. Das ist anstrengend und manchmal auch beängstigend. Vielleicht gibt es deshalb in vielen Ländern heute so eine große Sehnsucht nach starken Führern, die sagen, wo‘s langgeht. Denn wenn da einer ist, der den Ton angibt, dann ist das Leben leichter.
Nur: Den einen, der den Ton angibt und sagt, wo‘s langgeht, den gab‘s für Luther auch. Er hat es ganz deutlich gesagt, worauf er sein Gewissen gründet: Sein Gewissen ist in den Worten Gottes gefangen, so drückt er es aus.
Und ich? Worin ist mein Gewissen gefangen? Was hat mich geprägt? Wer hat mich geprägt? Wo kann ich meine Prägungen vielleicht auch wieder verlassen, weil sie nicht mehr zu mir passen?
Und eine Frage, die ich mir persönlich immer wieder stelle: Könnte ich so standhaft sein wie Martin Luther, wenn ich vor so einem hohen Gericht stünde? Oder wenn ich ausgelacht werde? Oder wenn ich nur verdächtigt werde, zu so einem zu gehören, so wie Petrus damals?
Könnte ich standhaft sein?
Fürchte dich nicht, sagt Jesus.
Ich erlebe, dass unsere Welt immer kirchenfeindlicher wird. Und damit meine ich nicht die von manchen beschworene Islamisierung, die ich so nicht sehe. Sondern die wachsende Ablehnung bei vielen Einheimischen. Christsein ist nicht mehr selbstverständlich, ganz im Gegenteil.
Könnte ich standhaft sein?
Fürchte dich nicht, sagt Jesus.
Und nicht nur beim Christsein ist das so. Vegetarier erzählen, wie sie lächerlich gemacht werden: „Ihr esst meinem Essen das Futter weg.“ Wer lieber Bahn und Bus fährt statt Auto, muss sich sogar dafür rechtfertigen „Ja, aber die Verspätungen!“ Wer sich für den Frieden einsetzt, wird als weltfremder Spinner bezeichnet.
Könnte ich standhaft sein?
Petrus war‘s nicht. Er hat versagt. Und trotzdem hatte Gott noch Großes mit ihm vor. Luther war standhaft. Aber er hat vorher und nachher immer wieder mit Gott gehadert im Gebet. Er hat gekämpft um diese Standhaftigkeit. Hat sich selber geprüft und seine Gedanken, sein Gewissen: Ist das wirklich, was Gott von mir will? Oder sind es nur meine eigenen Gedanken?
Könnte ich standhaft sein? Und wofür überhaupt würde ich wirklich einstehen?
Auch das mit Gottes Wort ist ja nicht immer so einfach. Wie viele Kirchenspaltungen hat es schon gegeben, weil Menschen sich nicht darüber einig wurden, wie Gottes Wort auszulegen ist! Was ist richtig, was ist falsch? Selbst die NPD hat auf einem Plakat behauptet, Luther würde NPD wählen, er könnte nicht anders. Stimmt das? Was sagt mein Gewissen, und worauf gründe ich es?
Mir hilft da wieder ein Satz Luthers weiter. Es stellte sich ja die Frage, welche Teile des Alten Testaments für uns noch gelten. Müssen wir zum Beispiel auch Menschen für bestimmte Verbrechen steinigen? Steht ja da drin. Luther hat gesagt: Für uns gilt das, „was Christum treibet“. Also: Was die Botschaft von Jesus Christus weiterbringt. Für mich bedeutet das: Das, was die Liebe weiterbringt. Die Liebe zwischen den Menschen. Und die Liebe Gottes zu uns.
Für diese Liebe möchte ich einstehen.
Für diese Liebe versuche ich, standhaft zu sein. Ohne Furcht auf die anderen zuzugehen. Und gegen den Hass, der zur Zeit so übermächtig zu werden scheint, die sanfte Liebe Gottes setzen. Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Ich fürchte mich nicht.
Amen.