Ansprache 18.7.2010
MehrWegGottesdienst
An unserer Tür hing früher mal ein Plakat von Tiki Küstenmacher. Da stand sinngemäß darauf: In jeder Minute, die man mit Ärgern verbringt, versäumt man 60 glückliche Sekunden. Und oft genug, habe ich das Gefühl, machen wir uns unseren Ärger selbst. Manchmal scheint es mir geradezu so, als wäre uns der Ärger, die Unbequemlichkeit lieber. So wie in unserem Anspiel gerade: Was spricht denn dagegen, es sich ein bisschen bequem zu machen? Was spricht dagegen, dass Birgit den Liegestuhl in Anspruch nimmt? Unfair gegenüber den anderen? Ach, vielleicht sind die auch mal irgendwann dran.
Alles hat seine Zeit, so haben wir gerade gehört. Das Arbeiten hat seine Zeit, ja es ist wichtig, es gehört auch zum Leben dazu. Wer keine Arbeit hat oder einmal eine Zeitlang arbeitslos war, der weiß, wie das an den Nerven zehren kann: Das Gefühl: Ich bin doch nichts wert. Ich trage nichts bei zur Gesellschaft. Ich liege den anderen doch nur auf der Tasche.nd auf der anderen Seite habe ich den Eindruck: Es gibt immer mehr Menschen, die zu viel arbeiten. Betriebsabläufe werden „optimiert“, das bedeutet: Sie kosten weniger. Es könnte ja auch bedeuten: Sie sind besser für die Menschen, die in diesen Abläufen drinstecken – aber oft ist es das Gegenteil davon. Den Menschen wird immer mehr aufgebürdet, oder zumindest empfinden sie es so.
Wozu ist der Mensch da? Wozu bin ich auf der Welt? Nicht nur für die Arbeit. Eine 4000 Jahre alte sumerisch-akkadische Schöpfungserzählung sieht das anders. Sie erzählt von Obergöttern, die faul auf der Haut lagen, und Untergöttern, die die harte Bewässerungsarbeit auf der trockenen Erde erledigen mussten. Diese Untergötter begannen den ersten Streik der Weltgeschichte: Sie hatten keine Lust mehr, die ganze Arbeit zu erledigen. Da beschlossen die Obergötter: Lasst uns Menschen machen, die die Arbeit für uns erledigen sollen!
Im ganzen Orient war diese Erzählung bekannt. Sicher auch bei den Israeliten, die dem ihre eigene Schöpfungserzählung entgegenhielten. Ich möchte heute überhaupt nicht die Diskussion eröffnen, ob die Erde nun in sieben Tagen erschaffen wurde oder in Milliarden Jahren entstanden ist. Diese Diskussion bringt uns nämlich vom Inhalt der Erzählung völlig weg. Für das, was ich heute sagen will, ist es völlig egal, ob mans als Gleichnis auffasst oder als Tatsachenbericht. Ganz kurz zusammengefasst: In sechs Tagen erschuf Gott die ganze Erde, Pflanzen, Tiere, und am Schluss den Menschen. Die Krone der Schöpfung. Das letzte, was Gott geschaffen hat. So denken viele – und übersehen dabei, dass Gott noch etwas anderes erschaffen hat. Die Krone der Schöpfung, das ist nicht der Mensch. Die Krone der Schöpfung: Das ist die Ruhe von der Arbeit. Der siebte Tag. Ganz anders als in der sumerisch-akkadischen Geschichte: Der Mensch ist etwas wert, auch wenn er ruht. Er soll sogar ruhen.
Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte. (Gen 2,2-3)er Mensch ist nicht nur zum Arbeiten da – und Arbeit ist, nebenbei bemerkt, auch nicht immer etwas Schlechtes, das einem nur Lebenszeit wegnimmt. Trotzdem: Ich kenne wirklich viele Menschen, die gestresst und genervt sind, denen alles über den Kopf wächst.
Pause machen und Auftanken – wo und wann, wie kann ich das? Wo bekomme ich neue Kraft her? Manchmal können das ganz kleine Dinge sein. Ich setze mich für eine kleine Pause in die Sonne. Ich öffne meine Sinne neu für die vielen kleinen Dinge, die mir das Leben bietet. Vielleicht muss ich manches, das mich nervt und belastet, auch einfach nur umdeuten.
Wenn mich der Computer nervt, weil er ewig braucht, bis er hochgefahren ist – warum eigentlich? Ein paar Minuten geschenkte Zeit. Kurz die Augen schließen, etwas Schönes träumen.
Wenn meine Kinder mir auf den Geist gehen – warum eigentlich? Sie sind meine Kinder, und ich habe sie lieb, bin froh, dass ich sie habe. Sie sind ein großes Geschenk. Etwas, wofür ich dankbar sein kann.
Kann ich Dinge noch genießen? Einfach nur um ihrer selbst willen, ohne einen Zweck? Kann ich etwas annehmen, auch wenn ich das Gefühl habe, es steht mir nicht zu – so wie der Liegestuhl für die Zuspätkommerin? Wie oft schlage ich so eine offensichtliche, freundliche Einladung des Lebens aus? Bloß weil ich denke, sie steht mir nicht zu – oder sie nimmt mir Lebenszeit?
Nicht bei allen, aber bei vielen Menschen habe ich den Eindruck: Sie können sich das selber gar nicht erlauben. Sie können den Liegestuhl, der da für sie steht, nicht annehmen. Lieber bleiben sie stehen – obwohl es niemandem schadet, sich reinzusetzen und zu genießen.
Wie oft schlage ich so eine offensichtliche, freundliche Einladung des Lebens aus? Wie oft kann ich sie annehmen? Ich lade Sie ein, einen Moment zurückzublicken auf die vergangene Woche. Wo gab es in meinem Leben in dieser Woche wirklich schöne Momente? Wofür kann ich dankbar sein? Was hat mir Kraft gegeben? Wo hat mich das Leben eingeladen – und ich habe die Einladung ausgeschlagen? Was würde ich gerne vertiefen: Ein Gespräch, eine Begegnung, ein Brief. Wo habe ich Grund zur Dankbarkeit?
STILLE
Wo tanke ich auf? Was gibt mir Kraft? Wofür kann ich dankbar sein? Ich denke, jede und jeder hat in dieser kurzen Stillephase andere Eindrücke bekommen. Gott lädt uns ein, diese wunderbare Welt zu genießen. Sie dankbar zu empfangen. Aufzutanken. Denn auch unter unserem Leben soll eines Tages stehen, was in der Bibel unter fast jedem einzelnen Schöpfungstag steht:
Und siehe, es war sehr gut.
Amen.