Predigt am 26.5.2019: OhneMacht
MehrWegGottesdienst
Predigt im Mehrweggottesdienst zum Thema: Ohne Macht am 26.5.2019
bibl. Text: Lk 1, 46-55 (Lobgesang Marias)
Vielleicht kennen Sie das auch: Da erzählt Ihnen eine Kollegin ganz unvermittelt, dass sie schwer erkrankt sei. Diagnose Brustkrebs. Metastasen schon in der Leber. Diese Kollegin sitzt sonst neben mir im Büro. Eine Situation, die mich in der Tat ohnmächtig macht. Da weiß ich im ersten Moment nicht, was ich sagen soll. Ich fühle mich wie gelähmt, als hätte mir jemand Fesseln angelegt.
Es geht noch weiter - ich schaue auf diese Welt und erlebe: Großkonzerne scheffeln auf Kosten unserer Umwelt Geld ohne Ende, z. B. die Pharmaindustrie. Ich gehe in die Apotheke und zahle viel Geld für ein Medikament und weiß doch gleichzeitig, dass sich diese Konzerne auf meine Kosten und auf Kosten der Natur schamlos bedienen. Und so sind die Beispiele endlos zu erweitern.
Da sind Mächte am Werk, gegen die wir uns scheinbar nicht wehren können. Denen wir sprachlos, tatenlos gegenüberstehen, die uns ohnmächtig werden lassen.
Doch welche Mächte stecken da eigentlich dahinter? Im ersten Beispiel mit der Kollegin - das ist nicht so einfach zu beantworten. Ist es die berühmte "Macht des Schicksals"? Da hat es halt nun mal diese Frau schwer getroffen. Aber es hätte ja auch mich treffen können ...
Bei der Frage mit den Großkonzernen, die die Umwelt belasten, ja sie nahezu zerstören, liegt der Fall schon etwas anders. Dahinter bündeln sich verschiedene Mächte: die größte dabei ist wohl die Macht des Geldes mit all ihren Begleiterscheinungen: die Gier nach „Noch mehr“: noch mehr Geld, noch größere Dominanz und Herrschaft.
Aber es wäre zu einfach, würden wir das Phänomen "Macht" nur nach oben - zu den großen politischen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Machthabern schieben. Denn fragen Sie sich doch mal: wer hat denn das Sagen in Ihrer Familie, in Ihren Beziehungen? Da üben doch auch gewisse Leute, Familienmitglieder, Arbeitskollegen Macht und Dominanz aus - manchmal auf den ersten Blick nicht ganz offensichtlich, sondern eher versteckt, aber vielleicht gerade deshalb umso wirksamer. Macht gibt es also schon im kleinen Gefüge, nicht nur im Großen. Und oft fühlen wir uns dabei ohn-mächtig und denken uns: da können wir einfach nix machen.
Doch wir können etwas machen. Wir können dagegen angehen. Es gibt viele Wege.
Manche von Ihnen waren vorhin in der Sakristei und haben mit dem Boxhandschuh auf den Tisch gehauen und ihren Frust rausgelassen. Gut so! Es hat Sie hoffentlich ein Stück erleichtert und befreit! Dampf ablassen. Ja, warum denn nicht? Und doch: es war, wenn man es genau nimmt, ja auch ein kleiner Gewaltakt. Hoffentlich hat es der Tisch überlebt?!
Nein, Gewalt scheint hier echt nicht die Lösung zu sein. Denn Gewalt erzeugt in den meisten Fällen nur Gegengewalt.
Aber es geht auch anders. Die Energie, die Wut, die sich in mir aufstaut, kann ich sammeln und in einen anderen Kanal lenken. Vom zerstörerischen Potenzial weg hin zu etwas Positivem, Konstruktivem. Schauen wir zum Beispiel auf Greta Thunberg - Sie erinnern sich an die Sätze aus dem Eingangsvideo. Diese junge Frau geht voran, sie tritt heraus aus der lähmenden Bequemlichkeit und Selbstzufriedenheit, aus dem Sumpf des Jammerns und Lamentierens über die Umstände, aus der Opferrolle, die manche Menschen ganz gerne einnehmen. Sie protestiert gegen die Halbherzigkeit der Politik, die es nicht schafft, spürbare Veränderungen zu erreichen für unsere Natur, für die Umwelt, für uns Menschen und unser Leben auf dieser Welt.
Und plötzlich geht von dieser jungen Frau eine große Strahlkraft aus. Eine große Solidaritätswelle entsteht. Immer mehr Leute schließen sich ihren Protesten gegen scheinbar unüberwindliche Machtstrukturen an. Seit sie ihre Stimme erhebt - zusammen mit vielen anderen - haben erwiesenermaßen die Buchungen über Fernreisen um bis zu 10 % nachgelassen. Ich finde, das ist doch ein Erfolg, der aufhorchen lässt!
Es geht auch anders. Der Mauerfall vor fast genau 30 Jahren. Ich sehe die Bilder noch vor mir. Diese Wende, die so vieles verändert hat, ist darauf zurückzuführen, dass sich Menschen zusammen geschlossen haben. Und dann einen solchen Druck auf das politische System, unter das sie gelitten haben, erzeugt haben, dass dieses wie ein Kartenhaus eingestürzt ist - und das ohne jede Form von Gewalt.
Ja, es geht auch anders. Gandhi hat es gezeigt durch sein Beispiel an Gewaltlosigkeit gepaart mit einer bemerkenswerten Furchtlosigkeit und Gelassenheit, die er ausgestrahlt hat. Oder eine Mutter Theresa. Durch ihren schlichten Einsatz für die Sterbenden. All diese Menschen haben eine Welle losgetreten, die spürbare Veränderungen nach sich gezogen haben. Von katholischer Seite hoffen dies nun auch viele, die sich der Bewegung "Maria 2.0" angeschlossen haben. Endlich sollen doch auch Frauen in kirchliche Weiheämter kommen.
Und viele neue Initiativen entwickeln sich: "fridays for future" ... oder "enkeltauglich leben" mit vielen spielerischen Elementen, oder die weltweite Baumpflanzaktion „plant for the planet". Wir haben solche Initiativen heute für Sie gesammelt und Sie können sich weiter darüber informieren. Vielleicht wollen Sie sich ja der einen oder anderen sogar anschließen?
Aber was ist all diesen Initiativen gemeinsam? Es sind zwei Dinge. Erstens: Sie finden zunächst im Kleinen statt, doch dann springt der Funke über. Aus einigen werden viele, und diese Vielen gewinnen plötzlich an Stärke und Einfluss, vereint in einer großen Idee, einer großen Vision. Und zweitens: die genannten Bewegungen agieren gewaltlos. Sie schlagen nicht blind drein, obwohl sie eine hohe Schlagkraft entwickeln. Und das Wichtigste dabei: sie bauen auf grundlegende, demokratische Werte wie Gerechtigkeit, Solidarität und Menschlichkeit.
Und diese Werte finden wir auch bei Jesus. Wie ist denn Jesus mit Macht umgegangen? Er ist mit Voll-Macht aufgetreten, die Kraft dazu hat er sich im Gebet geholt, von seinem Vater-Gott. Und noch etwas zeigen uns die Schriften: Jesus hat seine Macht immer eingesetzt zum Wohle der Menschen - niemals gegen sie. Er hat Menschen aus ihren Verstrickungen befreit, hat sie geheilt von Krankheiten körperlicher und psychischer Art.
Wir haben vorhin den Text aus Lukas gehört. Den Lobgesang Marias, seiner Mutter, einer für die damalige Zeit unbedeutenden jüdischen jungen Frau. In diesen Zeilen steckt für mich das Wahlprogramm Jesu. Ich zitiere ein paar Sätze: "Er stürzt die Machthaber vom Thron", die, die ihre Macht missbrauchen und andere ausbeuten - damals mit Hilfe strenger religiöser Gebote und Regeln. "Er lässt die Reichen leer ausgehn" ... "Er fegt die Überheblichen hinweg".
Hört sich in manchem eigentlich nach Gewalt an. Doch wenn Sie vorhin aufmerksam zugehört haben, spricht Maria dabei zweimal von "Barmherzigkeit". "Gott, der mächtig ist, handelt wunderbar an mir." In Jesus handelt dieser Gott barmherzig und aus der Liebe zu uns heraus. Dieses Wahlprogramm gilt bis heute! Es ist das Wahlprogramm von uns Christen!
Jesus weiß allerdings auch um die Ohnmacht. Er hat sie erfahren - am Kreuz. Dort musste er alles geschehen lassen - alles loslassen, selbst die Hoffnung, die er bis zuletzt hatte, dass sein irdisches Leben von Gott vielleicht doch gerettet würde. Jesus kennt unsere Ohnmacht. Selbst die Jünger haben sie erfahren, nach seinem Tod. Aber der Same, den Jesus in die Welt gesät hat, er ist aufgegangen. Der Funke seines Geistes ist übergesprungen, auf seine Jüngerinnen und Jünger. Sie sind hinausgegangen in die Welt zu den Armen ihrer Zeit und haben an ihnen barmherzig gehandelt und so das Wahlprogramm Jesu umgesetzt. Und das geschah in einer wellenartigen Bewegung, die nicht mehr zu stoppen war und bis heute aufschlägt.
Eine Veränderung ohne Gewalt - so wie es bei einer Greta Thunberg und vielen anderen angefangen hat - und hoffentlich noch lange weitergeht.
Ich denke am Schluss noch einmal an meine schwerkranke Kollegin. Sie strahlt für mich dieses Hoffnungsvolle und Positive aus - trotz ihrer schwierigen Lage. Denn sie weiß sich getragen von einem Netz vieler Menschen, die nach ihr fragen, sich um sie sorgen und für sie beten. Und - so spüre ich es - sie weiß sich getragen von Gott, der die Ohnmacht ausgehalten hat. Der durch die Ohnmacht des Kreuzestodes hindurchgegangen ist und sie gerade so verwandelt hat: in Leben, in Zukunft. Das macht mir Mut. Viel Mut. Und hoffentlich Ihnen auch!
Amen.