Wie die Schöpfungsgeschichte entstand
MehrWegGottesdienst
Also, ich weiß nicht. Wie ist das jetzt mit diesen sieben Tagen? Mir kommt das mit dem Urknall viel einleuchtender vor. Muss ich das denn wirklich glauben, dass die Erde in sieben Tagen entstanden ist? Bin ich sonst kein guter Christ?
Ach wo, überhaupt nicht. Das ist einfach ein grundsätzliches Verständnisproblem, das wir heutigen Menschen mit den Erzählungen der Bibel haben.
Was für ein grundsätzliches Problem?
Na ja, wenn wir heute einen Bericht hören, dann wollen wir Fakten. Genaue, verlässliche Daten, wie etwas abgelaufen ist. Von den Zeitungen erwarten wir, dass sie gut recherchieren, und wehe, es ist mal ein kleiner Fehler drin oder sie sind auf ein Gerücht hereingefallen. Und auch die Urknall-Theorie versucht, alle Abläufe bis ins Detail zu beweisen oder zumindest nachzuweisen, dass es eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit gibt, dass es so war.
Ja, natürlich. So was erwarte ich von einem Bericht.
Nur die Leute damals haben das gar nicht erwartet.
Äh – was wollten die denn dann?
Denen war völlig klar: das ist nur eine Geschichte, die etwas über Gott aussagen soll.
Dann haben die uns ja angelogen!
Nein, gar nicht. Für sie liegt nur die Wahrheit ganz woanders. Aber vielleicht erzähle ich mal, wie die erste Schöpfungsgeschichte entstanden ist. Die mit den sieben Tagen. Es gibt ja noch eine andere, mit Adam und Eva, die in vielen Punkten ganz anders aussieht.
Widersprechen die sich etwa?
Wenn man genau hinsieht: Ja. Zum Beispiel stehen bei der einen Erzählung am Anfang die Urfluten, bei der anderen ist es am Anfang der Welt trocken, weil Gott es noch nicht hatte regnen lassen. Aber lass mich mal erzählen. Sagt dir das babylonische Exil etwas?
Hm, da war was. At the rivers of Babylon...
Ja, genau. Damals wurde das Königreich Israel von der Großmacht Babylon vernichtend geschlagen. Ganz Jerusalem wurde dem Erdboden gleichgemacht, der Tempel wurde zerstört. Und damit sich nicht so schnell wieder Widerstand regt im Land, wurde die ganze Oberschicht verschleppt nach Babylon und dort nahe der Hauptstadt angesiedelt. In Israel selber wohnte kaum jemand mehr.
Die müssen ganz schön verzweifelt gewesen sein, die Israeliten.
Ja. Viel mehr, als wir uns das vorstellen können. Denn für sie war jetzt auch eine ganz drängende Frage: Was ist mit „unserem“ Gott? Bis dahin hatten sie sich nicht so wirklich darum gekümmert, was in anderen Ländern für Götter herrschen. Ihr Gott war für Israel zuständig, ob es die Götter der anderen Völker wirklich gibt, war ihnen egal. Aber jetzt waren sie in einem fremden Land und fragten sich, ob sie nun auch diese fremden Götter anbeten sollten. Vor allem, weil diese fremden Götter ja offensichtlich auch stärker waren als ihr eigener Gott. Schließlich hatten die Babylonier sie ja besiegt.
Hm. Seltsame Vorstellung. Wenn ich in ein anderes Land ziehe, muss ich den zuständigen Gott wechseln.
Das haben sich die Israeliten auch gedacht: Das ist nicht die Lösung. Aber als besiegtes Volk konnten sie ja auch schlecht hergehen und sagen: „He, ihr Babylonier, unser Gott ist viel stärker als eurer, auch wenn es nicht danach aussieht!“ - die hätten sie ausgelacht, und mindestens die Hälfte der Israeliten hätten mitgelacht.
Hm. Blöde Situation. Was kann man da machen?
Eine Geschichte erzählen.
Eine Geschichte erzählen?
Genau. Die Schöpfungsgeschichte. Die Babylonier hatten schließlich auch so eine Geschichte. Da wimmelte es nur so von Göttern. Obergötter und Untergötter, die zu faul sind, die Arbeit zu erledigen. Und die Menschen werden schließlich aus dem Leib eines getöteten Gottes geformt, um für die Götter zu arbeiten.
Hört sich ziemlich gruselig an.
Ja, in der Tat. Und schon der allererste Satz der Schöpfungserzählung ist eigentlich eine große Frechheit: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Bei den Babyloniern brauchte es dafür eine ganze Götterschar und mehrere Göttergenerationen – die Israeliten sagen: Unser Gott war schon vorher da. Vor allem eurem Göttergeplänkel. Unser Gott ist viel größer als eurer.
Und wenn er Himmel und Erde erschaffen hat, dann ist er auch in Babylon zuständig, oder?
Ja, das war das zweite, was in diesem Satz versteckt war: Unser Gott hat die ganze Welt in der Hand. Nicht nur das kleine Israel. Er hat alles gemacht und hält uns in der Hand, auch wenn's gerade nicht danach aussieht. DAS ist die Wahrheit, die sozusagen in dem Text versteckt ist – nicht so vordergründig, wie wir es oft sehen.
Das hätten sie so direkt ja auch nicht sagen können als besiegtes Volk im fremden Land. Das verstehe ich. Die Menschen damals wollten damit etwas über Gott aussagen. So, wie es ja auch Jesus mit seinen Gleichnissen getan hat.