Predigt 18.4.2010
MehrWegGottesdienst
Predigt beim MehrWegGottesdienst am 18.4.2010
Liebe Gemeinde!
Überschwemmung. Das Wasser steigt schnell. Der Pfarrer ist bis auf die Kirchturmspitze geflüchtet und sitzt dort und betet: Lieber Gott, ich habe Dir jahrelang gedient, aufrecht und mit ganzem Herzen. Bitte rette mich.., Etwas später rudert ein Bauer vorbei und sagt: Springen Sie rein! Nein danke, ruft der Pfarrer, Gott wird mich retten!
Und wieder betet er zu Gott. Etwas später kommt ein Motorboot vorbei und die Leute rufen: Springen Sie hinein Herr Pfarrer! Nein danke, Gott wird mich retten! Der Pfarrer versinkt wieder in tiefes Gebet und das Wasser steigt. Dann kommt die Marine vorbei und sie wollen den Pfarrer mitnehmen. Nein Danke, der Herr wird mich retten! Und dann ertrinkt er. Kommt oben im Himmel an und sagt böse zum Chef: Ich habe mein ganzes Leben in deinen Dienst gestellt, keine Sünde begangen und gebetet dass du mich rettest, und dann lässt du mich ertrinken. Wieso? Ich, sagt Gott lächelnd, habe dich nicht ertrinken lassen. Ich habe dir ein Ruderboot, ein Motorboot und sogar die Marine geschickt...
Wer ist Gott?
Tut er was für uns?
So viele fragen sich, warum Gott zulässt, dass Menschen leiden. Wenn er doch der „liebe Gott“ ist, wie viele ihn nennen – kann er dann nicht mal einschreiten, wenn ein lieber Mensch Krebs hat, wenn ein Kind überfahren wird, wenn Menschen Gewalt angetan wird?
Oder kann er nicht wenigstens dann bei den großen Katastrophen etwas tun. Bei den Erdbeben, Tsunamis und Vulkanausbrüchen. Bei der Ungerechtigkeit in unserer Welt. Wir hier haben genug zum Leben, aber woanders verhungern Menschen.
Kann Gott nicht eingreifen? Will er nicht? Oder gibt es ihn gar nicht?
Da kommen Zweifel auf. Manche ver-zweifeln auch an diesen Fragen. Wünschen sich „einfach nur ein bisschen Halt in einer Zeit in der nichts sicher scheint“ - und finden diesen Halt nicht, jedenfalls nicht im Glauben.
Vielleicht ist es ein bisschen wie in diesem Witz: Manchmal erkennen wir Gottes Handeln einfach auch nicht. Manchmal vielleicht auch seinen Willen nicht. Kann es Gottes Wille sein, dass ein Kind stirbt? Kann es Gottes Wille sein, dass bei einem Erdbeben Tausende sterben, Hunderttausende obdachlos werden?
Auch ich habe darauf keine fertige Antwort. Für mich ist in diesem Zusammenhang eine Stelle aus dem Propheten Jesaja wichtig geworden. Sie lautet:
8 Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR,
9 sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.
12 Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden. Berge und Hügel sollen vor euch her frohlocken mit Jauchzen und alle Bäume auf dem Felde in die Hände klatschen.
Das heißt für mich: Wir können Gottes Wege nicht immer verstehen. Wäre ja auch schlimm, wenn wir Gott verstehen könnten, dann wäre er ja irgendwie auch kein Gott mehr. Gottes Wege sind anders: Ich kann glauben und in eine ganz tiefe Krise kommen, ihn auch eventuell die ganze Zeit nicht finden. Unsere Wege mit Gott sind unterschiedlich. Aber Gott geht auch noch einen Weg mit uns! Es ist oft rätselhaft und unverständlich, aber es macht auch neugierig, öffnet neue Türen.
Manches, was wir als schrecklich empfinden, mag seinen Sinn haben. Viele haben mir schon erzählt, und ich selber habe es auch erlebt: An schweren Ereignissen können Menschen wachsen. Das Leid gehört zum Leben dazu, ob wir es nun wollen oder nicht. Das Leid – und dass wir es irgendwann so gut es geht überwinden – gibt unserem Leben erst Tiefe. Und dieser Text aus Jesaja hört ja nicht damit auf, dass Gott für uns Menschen unverständlich ist. Er geht weiter. Am Schluss steht das Versprechen: Ihr sollt eines Tages so unermessliche Freude erleben, dass sie in menschlicher Sprache gar nicht auszudrücken ist. Dass wir dafür völlig verrückte Bilder verwenden müssen: Berge, die frohlocken. Bäume, die in die Hände klatschen. So soll es eines Tages für euch sein. Und vielleicht werden euch dann auch Gottes Wege klarer.
Mag sein, dass diese Antwort niemandem weiterhilft, der gerade mitten in der Trauer steckt. Aber so ist Gott offenbar. Er nimmt das Leid nicht einfach weg. Ich glaube: Er geht einen anderen Weg. Einen, den wir auch nicht verstehen können. Er geht mitten hinein in diese Welt und leidet mit. Erinnern Sie sich noch an das Bild am Anfang, als die Frau mit dem Kind kurz vom Jesusbild mit Dornenkrone überblendet wurde?
Ich glaube: Gott ist kein Gott von oben herab. Und, so seltsam das jetzt ist: auch wenn er in unser Leben eingreifen würde und manches verbessern würde, wäre das doch „von oben herab“, aus einer höheren Position. Nein, er macht es anders. Von unten sozusagen. Er nimmt das Leid an. Sogar den Tod. Und überwindet ihn dadurch.
Klingt ein bisschen mystisch und ist es vielleicht auch. Ich finde es faszinierend. Und auch im Vergleich mit anderen Religionen ganz und gar einmalig: Unser Gott nimmt das Leid auf sich, er steht sozusagen nicht auf der Seite Gottes, sondern auf der Seite der Menschen. Er weiß, was es heißt, zu leiden. Er weiß, was es heißt, ein ganz normales Leben zu führen. Er weiß, was es heißt, von den Freunden verraten und verlassen zu werden, ausgelacht und verspottet zu werden, geschlagen zu werden. Er weiß, was es heißt, Todesangst zu haben.
Gott ist einer von uns geworden. Gott ist ein ganz normaler Mensch – und doch Gott. Das, finde ich, hat Joan Osborne in dem Lied gut zum Ausdruck gebracht, das wir gleich singen werden. Was, wenn Gott einer von uns wäre? Ein ganz normaler Mensch im Bus, der auch nur nach Hause will?
Damit sind wir natürlich jetzt bei der Frage: Wie viele? Die Menschen damals zu Lebzeiten Jesu und kurz danach haben ihn erlebt als einen, der irgendwie anders war. Wenn er redete, dann war es, als redete durch ihn Gott selbst. Wenn er handelte, dann ging es Menschen besser. Egal, ob man die Wundergeschichten nun für wahr hält oder nicht: Offenbar war sein Wirken etwas Besonderes. Etwas heilsames. So sagten sie über ihn: Er ist der Sohn Gottes. Für uns heute klingt das seltsam. Gott in einem Menschen hier auf der Erde? Andererseits – warum nicht? Warum sollte Gott nicht in einem Menschen ganz besonders stark anwesend sein und durch ihn wirken? So, dass dieser Mensch selbst zum Sohn Gottes wird?
Und dann noch der Heilige Geist. Das ist sozusagen: Gott in uns. Das Fünkchen Gott, das in jedem von uns steckt. Das uns an guten Tagen be-geistert und wenn wir Zweifel haben hoffentlich trägt.
1+1+1=1 – so kann vielleicht auch nur Gott rechnen. Aber so erleben wir uns ja auch selbst. Ich bin auch nicht in jeder Situation Pfarrer. Manchmal bin ich einfach nur Familienvater. Oder Quatschkopf, würden meine Kinder sagen. Selbst als Pfarrer bin ich manchmal Schulbeauftragter, manchmal Citykirchenpfarrer. So hat auch Gott verschiedene Ausprägungen. Wie viele ist Gott? Eins? Drei? So viele, wie es Menschen auf der Welt gibt? Vielleicht können wir auch diese Frage nie endgültig beantworten, sondern nur mit unserer Erfahrung verknüpfen.
Was für mich feststeht, ist jedenfalls: In Jesus ist Gott uns zum Anfassen nahe gekommen. In Jesus ist er einer von uns geworden. Auch, wenn seine Wege uns manchmal zu hoch erscheinen, zu unergründlich: Er ist einer von uns.
Amen.