Ansprache: LebensWert
MehrWegGottesdienst
Falls es jemanden interessiert: Die Bayern führen gerade (leider) 1:0 gegen den Club.
Manche werden sich jetzt freuen, manche enttäuscht sein, anderen ist das völlig egal. Einer hat sogar explizit zu mir gesagt: „Was, am Sonntag? Da kann ich nicht zum MehrWegGottesdienst kommen, da spielt der Club gegen die Bayern. Ist doch auch so ne Art Gottesdienst.“
Ja, für manche Menschen gibt es kaum etwas wichtigeres als den Fußball. Ich persönlich weiß meistens so ungefähr, wo der Club in der Tabelle steht und in welcher Liga er gerade spielt, aber mehr auch nicht.
Für andere, wie gesagt, gibt es kaum etwas Wichtigeres als den Fußball. Mit anderen ins Stadion gehen, mitzittern mit dem eigenen Verein, Siege feiern, Niederlagen gemeinsam durchstehen. Ja, für viele ist das etwas, was das Leben lebens-wert macht.
Im Team haben wir noch eine riesige Liste von weiteren Dingen gefunden, die unser Leben lebenswert machen. Die Familie, Freunde, eine sinnvolle Arbeit, Spaß, Freude, Humor.
Irgendwann kam dann auch der Gedanke auf: Zu einem lebenswerten Leben gehört auch die unangenehme Seite. Das Schwere. Dass ich schwere Dinge erlebe, sie durchlebe und gestärkt wieder daraus hervorgehe.
Was macht mein Leben lebens-wert? Nur Erfolg im Beruf, in der Familie und in der persönlichen Entwicklung?
Gerade hier in Deutschland klingt uns vielleicht noch im Hinterkopf, dass im Dritten Reich manches Leben als „lebensunwert“ bezeichnet wurde. Psychisch oder körperlich beeinträchtigten Menschen wurde bescheinigt: „Ihr seid lebensunwertes Leben.“ Gott sei Dank sind diese Zeiten vorbei. Als Zivi habe ich vor 20 Jahren in einem Behindertenheim gearbeitet. Ich kann nur sagen: Manchmal habe ich mich gefragt, wer hier der Behinderte ist. Denn diese Menschen waren alles andere als lebensunwertes Leben. Sie waren fröhlich, sie scherten sich nicht um Ängste, die wir „normalen“ vielleicht haben.
Was macht mein Leben lebenswert?
Für Jesus war jedenfalls der Erfolg eines Menschen nicht unbedingt ausschlaggebend. Ganz im Gegenteil: Er scheint ja geradezu eine Vorliebe gehabt zu haben für die Außenseiter. Für die, mit denen keiner was zu tun haben wollte. Zöllner, die mit den römischen Besatzern zusammenarbeiteten. Aussätzige, zu denen man Abstand halten musste, um sich nicht anzustecken. Männer, Frauen, Kinder: Allen begegnete er mit der gleichen Zuwendung und – anders kann ich es nicht ausdrücken – mit der gleichen Hingabe.
Was macht mein Leben lebenswert? So frage ich noch einmal.
Astrid hat im Anspiel am Anfang etwas entdeckt: Es gibt eine ganze Menge Dinge, die uns eher von einem lebenswerten Leben abhalten. Ich möchte jetzt gar nicht in dieses übliche Lamento einstimmen von wegen „mein Terminkalender bestimmt mein Leben“ und von den Zwängen, in denen wir stecken. Ich frage: Ist das wirklich so? Oder kann ich mir auch mal Auszeiten nehmen? Kann ich auf manches verzichten – und wenn ja, auf was?
Bei mir könnte es nie der Terminkalender sein, denn dann würde ich andere enttäuschen, wenn ich einen fest vereinbarten Termin vergesse. Aber vielleicht muss nicht immer alles so perfekt sein? Vielleicht kann ich auch mal zu einer Sache Nein sagen, obwohl sie mich reizt? Und dafür auf einmal mehr Zeit haben mit meiner Frau, meinen Kindern, oder auch mal für mich selbst.
Was macht mein Leben lebenswert?
Ich glaube, um diese Frage zu beantworten, muss ich erst einmal ziemlich tief graben. Die Stapel auf dem Schreibtisch beiseiteräumen. Termine verschieben. Auf Dinge verzichten, auch wenn sie attraktiv erscheinen. Mich frei machen von all dem, zu meinen Wurzeln zurückfinden. Gewissermaßen: Fasten. Der Advent, der jetzt bald beginnt, ist ja eigentlich so eine Zeit des Innehaltens. Ursprünglich eine Fastenzeit in Vorbereitung auf das Wunder von Weihnachten. Vielleicht, wenn ich das alles beiseiteschiebe, was unser Leben oft so hektisch macht. Vielleicht, wenn ich mich auf diese Botschaft konzentriere, die vom Kommerz, vom Kitsch, von dem ganzen Weihnachts-Klimbim schon so übertüncht wurde: Gott wird ein einfacher Mensch. Vielleicht, wenn ich mich auf diese Botschaft konzentriere, kann ich auch Gott ganz neu finden. Und er mich.
Loslassen, Reduzieren aufs Wesentliche: Das passt zur Jahreszeit: Die Natur machts genauso. Der Baum zieht die Energie aus den Blättern, um sie in den Wurzeln zu speichern. Zurück zu den Wurzeln: Was ist mir wichtig? Wenn ich das gefunden habe, wenn ich weiß, was meine Lebenswurzeln sind, dann kann ich im Frühjahr auch wieder ausschlagen.
Ich ziehe mich zurück. Ich bin mir selbst wichtig! Ich werde mir bewusst, dass auch ich einen Wert habe.
Ist das nicht egoistisch? Ist Egoismus nicht „schlecht“? Nein: Es ist wichtig, dass ich mich körperlich und geistig gesund erhalte. Jesus sagte auch nicht: Liebe deinen Nächsten bis zur Selbstaufgabe. Er sagte: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Dazu sollte ich mich aber erst einmal selber lieben. Mich selbst ernst nehmen. Mir einen Wert zugestehen. Aber eben dann auch noch mit wachem Blick sehen, was um mich herum passiert.
Ob es mir gelingt, in diesem Advent kürzer zu treten? Mich darauf zu konzentrieren, was notwendig ist? Darauf, was mein Leben lebenswert macht?
Vielleicht kann mein Leben dadurch freier werden. Weniger gehetzt. Verwurzelter. Vielleicht kann mein Leben so zu einem Fest werden.
Amen.
Lied: Unser Leben sei ein Fest