Ansprache am 29.6.2014

Thema

Alles beginnt mit der Sehnsucht

Datum

29.6.2014

Baustein

Ansrpache: Ullrich Göbel

„Wer jetzt nicht lebt, wird nichts erleben.
Wer sich jetzt nicht regt, wird ewig warten. Die Zeit bereit, nicht zu vertagen.“

Das könnte ein schöner Werbeslogan sein für einen Bungee-Sprung auf dem Schweinfurter Volksfest, wo wir heute Morgen noch Gottesdienst gefeiert haben. Keine Angst, ich habe ihn nicht gemacht, diesen Sprung mit der Bungee-Schaukel, ich glaub, das hätte ich nicht überlebt - hat sich denn einer von euch schon mal in diese Schaukel gesetzt und ist abgehoben?

Wer jetzt nicht lebt, wird nichts erleben – dieser Satz ist der Beginn von „Zeit, dass sich was dreht“, dem Song von Herbert Grönemeyer zur Fußball-WM 2006 in Deutschland.

„Zeit, dass sich was dreht?“ Zwar dreht sich vieles momentan um das runde Leder – doch worum drehst DU dich eigentlich? Worum drehen sich deine Gedanken, deine Wünsche und Sehnsüchte? Worum dreht sich dein Leben?

Alles beginnt mit der Sehnsucht – ja, und dann? Wie geht es weiter?

Wäre es nicht super, erleben zu können, wie Glückmomente non stop weitergehen, so dass ich gar keine Sehnsuchtsregungen mehr empfinden bräuchte, die einen eh nur quälen wollen?

Doch das Glück geht und vergeht – das erfahren wir als Menschen oft schmerzlich: grade noch glücklich vereint, müssen die Liebenden doch wieder auseinander, um sich später neu zu finden. Oder wer sich einmal in einer euphorischen Masse bewegt hat und die Stimmung mit aufsaugt - so wie momentan vielleicht beim Publik Viewing oder unter 10 000 Begeisterten beim Konzert von Bryan Adams im Luitpoldpark in Kissingen vor einer Woche, der merkt schnell: das geht nicht ständig, immer nur Menschen um sich herum, das tut nicht gut.

Wir blühen einerseits auf, wenn wir andere um uns herum wissen und Gemeinschaft spüren. Wenn wir spüren dürfen, dass wir dazugehören, dass wir wahrgenommen, geschätzt und akzeptiert werden und Resonanz bekommen. Das macht uns glücklich und froh: Sehnsucht nach Gemeinschaft. Doch das ist nur die eine Seite. Denn es gibt auch die andere: Wir wollen frei sein und selbstbestimmt handeln, uns nicht ständig binden, sondern unser Leben nach unseren Vorstellungen entwickeln und gestalten.

Zwischen diesen beiden Polen bewegen wir uns hin und her. Mal brauchen wir die anderen, dann brauchen wir wieder mal Ruhe von den anderen. Ich selbst suche gerne die Stille, um dann wieder gestärkt und neu aufgetankt unter Menschen zu gehen.

„Sehnsucht ist eine Regung der Seele. Ohne [sie] finden wir nicht zueinander oder zu uns selbst zurück, wenn wir uns verloren haben.“ So bringt es der Schriftsteller und Fotograf Ulrich Schaffer auf den Punkt.

Aber – genau das ist ja die Schwierigkeit: die Sehnsucht lässt sich nicht auf den Punkt bringen. Immer, wenn man meint, sie sei gestillt, bricht sie von neuem auf.

So war es wohl auch bei der Frau am Jakobsbrunnen. Sie schöpft von dem Wasser, von dem sie doch wieder Durst bekommt. Ihre Sehnsucht nach Liebe hat sie nicht stillen können. Mehrere Männer hat sie gehabt, die ihr nicht geben konnten, wonach sie sich gesehnt hat. Da kommt Jesus und will ihr lebendiges Wasser geben – Wasser, das ewiges Leben schenkt.

So weit sind wir noch nicht – das ewige Leben kommt – hoffentlich – noch. Wir sind und bleiben auf der Suche nach Erfüllung und Glück. Aber vielleicht hat Gott ja diese Sehnsucht in unser Herz eingepflanzt, weil er sich wünscht, dass wir ihr nachgehen. Weil er sich wünscht, dass wir sie ernst nehmen, sie als Triebfeder, als Motivation sehen und „gebrauchen“ für unser Suchen nach ihm. Vielleicht hat Gott ja in unser Herz diesen Raum angelegt für mehr, für Schöneres, für Größeres.

Manchmal kommt es mir so vor wie eine Brise von Ewigkeit, von ewigem Leben, wenn ich Momente auskosten kann: die wärmende Sonne auf der Haut, ein liebes Wort oder eine herzliche Umarmung des Mitmenschen, den Blick in den Horizont hinein, wo gerade die Sonne untergeht und wunderbare Farben in den Himmel malt.

Vielleicht meint Grönemeyer genau diese Momente, wenn er singt: „Du fühlst, du träumst. Du fühlst, du glaubst, du fliegst.“

Vom berühmten Kirchenlehrer Augustinus stammt der Satz:

„Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.“

Wenn man seine Vita betrachtet, so kann man erkennen: Augustinus war selbst ein unruhiger Geist, ein Hin- und Hergeworfener zwischen der Bindung zu einer Frau und ehelosem Leben, zwischen verschiedenen religiösen Einflüssen, zwischen zur-Ruhe-kommen-wollen und großem Tatendrang.

„Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir, MEIN GOTT.“

Genießen wir es jetzt, in der Nähe Gottes zu sein, seinen Trost zu spüren, wenn wir nun das wunderbare Lied von Albert Frey hören: „Wo ich auch stehe …“